Die Qualifikationsmatrix des Aufsichtsrats nach dem DCGK - Transparente Aufsichtsräte

Beitrag in Der Aufsichtsrat von Dr. Lukas Berger, Daniela Mattheus und Regine Siepmann

Transparente Aufsichtsräte

Die Qualifikationsmatrix des Aufsichtsrats nach dem DCGK

Dr. Lukas Berger/Daniela Mattheus/Regine Siepmann

Neue Transparenz über die Kompetenzen des Aufsichtsrats: Mit der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) im Jahr 2022 soll der Stand der Umsetzung des Kompetenzprofils des Aufsichtsrats in Form einer individualisierten Qualifikationsmatrix dargestellt werden. Das European Center for Board Effectiveness (ECBE) und die hkp///group haben in einer aktuellen Studie die erstmals in den Geschäftsberichten 2022 veröffentlichten Qualifikationsmatrizen der Unternehmen der DAX-Indexfamilie analysiert. Ausgewählte Studienergebnisse werden in diesem Beitrag zusammengefasst.

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Neue Anforderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex

Mit der Neufassung des DCGK wurden die Anforderungen an die Umsetzung des Kompetenzprofils des Aufsichtsrats konkretisiert. Die noch junge Empfehlung in C.1 DCGK sieht vor, dass die vorhandenen Kompetenzen im Aufsichtsrat anhand einer Qualifikationsmatrix dargestellt werden sollen. Die Regierungskommission verbindet damit die Erwartung, dass eine solche Qualifikationsmatrix es Aktionären und anderen Stakeholdern ermöglicht, die fachliche Kompetenz des Aufsichtsrats zu beurteilen. Eine solche Transparenz auf individueller Mandatsebene ist neu. Ein einheitliches Veröffentlichungsformat existiert (noch) nicht. Mit Spannung wurde daher erwartet, wie die börsennotierten Unternehmen mit der Empfehlung C.1 DCGK umgegangen sind.

In der nachfolgend vorgestellten Studie wurden erstmals die Qualifikationsmatrizen aus den Geschäftsberichten 2022 aller in den Börsenindizes DAX, MDAX und SDAX gelisteten Unternehmen analysiert. Ziel der Analyse war es, neben dem Format, dem Umfang und den dargestellten Inhalten der Matrizen insbesondere auch die einzelnen Kompetenzen der Aufsichtsratsmitglieder zu untersuchen. Hierfür wurden die individuellen Kompetenzmatrizen systematisch erfasst und sowohl auf Unternehmens- als auch auf Personenebene ausgewertet – mit spannenden und für die Praxis wichtigen Ergebnissen.

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Veröffentlichungs- und Entsprechungsquote

Laut den Entsprechenserklärungen sind rund 90 % der Unternehmen aus dem untersuchten Panel den Anforderungen des DCGK nachgekommen und haben eine Qualifikationsmatrix veröffentlicht. Zu den übrigen 10% gehören zum einen Unternehmen in ausländischer Rechtsform, die nicht unter die Anforderungen des § 161 AktG fallen und daher auf eine Veröffentlichung verzichtet haben. Gewichtiger sind die Unternehmen, die zum anderen eine begründete Abweichung von der Empfehlung C.1 DCGK erklärt und keine Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat veröffentlich haben. Die Begründungen hierfür sind vielfältig: Sie reichen vom Verweis darauf, dass die erforderlichen Kompetenzen im Aufsichtsrat ausreichend berücksichtigt seien, über eine Kommentierung als bürokratisches Erfordernis mit unnötigem Mehraufwand bis hin zur Feststellung, dass Qualifikationsmatrizen keinen Mehrwert darstellen. Einige Unternehmen geben an, dass sie die Qualifikationsmatrix gerade erst erstellen und dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist.

Die Mehrheit der Unternehmen mit veröffentlichter Qualifikationsmatrix macht in der Erklärung zur Unternehmensführung keine Angaben dazu, wer die Einschätzungen der Kompetenzen in der Qualifikationsmatrix vorgenommen hat. Knapp 40% geben an, dass es sich um eine Selbsteinschätzung des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds handelt. Vereinzelt wird darauf hingewiesen, dass die Matrix die Empfehlungen des Nominierungsausschusses und des Präsidiums berücksichtigt oder die Selbsteinschätzung durch eine anschließende Bewertung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. ein Vier-Augen-Gespräch der Mitglieder mit dem Vorsitzenden ergänzt wurde. Teilweise haben sich Unternehmen von externen Beratern unterstützen bzw. bewerten lassen.

Ausgestaltung der Qualifikationsmatrizen

Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen stellt die Kompetenzen der Aufsichtsratsmitglieder in einer eigenständigen Matrix mit Spalte bzw. Zeile für jedes Mitglied dar. Alternative Darstellungsformate sind Texte bzw. Lebensläufe sowie eine Darstellung der Kompetenzen lediglich für das Gesamtgremium. Vereinzelt wird die Qualifikationsmatrix nur für die Vertreter der Anteilseigner vorgestellt.

Der Umfang der Qualifikationsmatrizen ist sehr unterschiedlich. Viele Unternehmen weisen – neben den fachlichen Kompetenzen – weitere Kategorien aus, meist Informationen zur persönlichen Eignung, Zugehörigkeitsdauer, Diversität und Demografie der Aufsichtsratsmitglieder. Die Auswahl bzw. Zuordnung der Kategorien ist sehr heterogen; dies erschwert die Vergleichbarkeit – auch zwischen Unternehmen derselben Branche – etwa für Investoren.

Auffällig ist, dass die Anzahl der ausgewiesenen fachlichen Kompetenzen in den Qualifikationsmatrizen stark variiert: So weisen einige Unternehmen lediglich fünf Kompetenzen aus, andere Unternehmen hingegen mehr als 20. Vereinzelt wird bei der Anzahl der Kompetenzen zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite unterschieden. All dies zeigt, dass bei Erstellung der Matrix mit jeweils verschiedenen Detaillierungsgraden agiert wurde. Während teilweise generisch Einzelkompetenzen in Kompetenzkategorien zusammengefasst werden, sind in anderen Matrizen diverse Kompetenzen bzw. Subkompetenzen granular dargestellt.

Bemerkenswert ist auch, wie verschieden die Ausprägung bzw. das Vorhandensein einer Kompetenz definiert und mithin ausgewiesen wird. Häufig finden sich keine Erläuterungen zu diesen Hintergrundangaben; etliche Unternehmen präzisieren indes, dass eine Angabe beim jeweiligen Aufsichtsratsmitglied „fundierte“ oder „gute“ Kenntnisse voraussetzt. Noch genauer sind jene Unternehmen, die verschiedene Kompetenzniveaus angeben, wobei die Anzahl der Niveaus und die Terminologie sehr unterschiedlich sind.

Der vom DCGK geforderte Ausweis konkreter Ziele für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und deren Umsetzungsgrad, also der Abgleich von Kompetenzprofil und Qualifikationsmatrix, wird nur von wenigen Unternehmen vorgenommen. Die Mehrheit der Unternehmen weist nur den tatsächlichen Stand der Kategorien/Kompetenzen aus, ohne auf das Kompetenzprofil und die dort verankerten Ziele (z.B. wie viele Aufsichtsräte mit Digitalisierungs- oder Nachhaltigkeitskompetenz) einzugehen.

Bedeutung ausgewählter Kompetenzen

Die Auswertung auf Unternehmensebene zeigt, dass – über alle Indizes hinweg – Finanzen, Nachhaltigkeit sowie Branchenerfahrung zu den am häufigsten genannten Kompetenzen in den Qualifikationsmatrizen gehören. Dagegen wird Kompetenz in Strategiefragen wesentlich seltener (von 40% aller Unternehmen) als Kategorie ausgewiesen.

Die meisten Aufsichtsratsmitglieder verfügen nach eigenen Angaben über Branchenkenntnisse sowie über Nachhaltigkeitskompetenz. 

Zudem zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede zwischen DAX, MDAX und SDAX. So wird beispielsweise die Personalkompetenz von DAX-Unternehmen signifikant häufiger genannt als von den Unternehmen der beiden anderen Indizes. Eine Übersicht über die am häufigsten genannten Kompetenzen ist in Abb. 2 dargestellt.

Die Matrizen zeigen, dass die Aufsichtsräte sehr unterschiedlich ausgerichtet sind bzw. unterschiedliche Schwerpunkte setzen. So kann man aus den Kompetenzkategorien in den Matrizen sehr gut herauslesen, dass sich ein Teil der Gremien in ihren Profilen sehr stark auf ihre Kontrollfunktion konzentriert, während andere zusätzlich zukunftsgerichtete Kompetenzen wie Innovationen, Digitalisierung und Personal ausweisen und sich so offenbar eher als strategischer Begleiter und Berater des Vorstands sehen.

Kompetenzniveau der Aufsichtsratsmitglieder

Die Auswertung auf individueller Ebene zeigt, dass das Kompetenzniveau der Aufsichtsratsmitglieder in den ausgewiesenen Kategorien – nach vornehmlich eigenen Angaben – überwiegend hoch ist. In den meisten Unternehmen wird deutlich mehr als die Hälfte der in der Matrix aufgeführten Kompetenzen von den Aufsichtsratsmitgliedern als vorhanden angegeben. In acht Unternehmen werden sogar über 90% der aufgeführten Kompetenzen von allen Aufsichtsratsmitgliedern erfüllt. Vereinzelt wird diesem Effekt entgegengewirkt, indem den Aufsichtsratsmitgliedern eine Auswahlbeschränkung auferlegt wird, sodass z.B. maximal fünf Kompetenzfelder pro Mitglied angegeben werden können.

In der Stichprobe verfügen die meisten Aufsichtsräte über Branchen- bzw. Geschäftsfeldkenntnisse sowie über Nachhaltigkeitsexpertise (2/3 aller Aufsichtsräte der DAX-Indexfamilie). Letzteres ist – vor dem Hintergrund der Aktualität und der vergleichsweise neuen Relevanz des Themas – überraschend hoch. Deutlich weniger Aufsichtsräte sollen hingegen über Digitalisierungsexpertise verfügen.

Deutliche Unterschiede zwischen den Indizes zeigen sich bei der Bewertung von Kompetenzen in den Bereichen Finanzen, Personal und Strategie. So geben Aufsichtsratsmitglieder der DAX-Unternehmen signifikant häufiger an, Personal- und Strategiekompetenz zu besitzen, während Aufsichtsratsmitglieder der SDAX-Unternehmen signifikant häufiger Finanzexpertise nennen.

Differenziert nach demografischen Merkmale geben männliche Aufsichtsräte im Durchschnitt mehr Kompetenzen an als weibliche, wobei dieser Unterschied beim Aufsichtsratsvorsitz und auf der Anteilseignerseite besonders signifikant ist. Auch ältere Aufsichtsratsmitglieder bewerten sich kompetenter als ihre jüngeren Kollegen: Die kompetentesten Aufsichtsräte sind nach dieser Analyse zwischen 74 und 78 Jahre alt.

Nutzen für die Investoren

Die Begründung der Regierungskommission, die Offenlegung in Form einer Qualifikationsmatrix erleichtere den Investoren die Beurteilung der fachlichen Kompetenz des Aufsichtsrats, wird durch eine aktuelle empirische Studie von Becker et al. gestützt, die zeigt, dass die Offenlegung von Qualifikationsmatrizen die Investoren unabhängiger von den Einschätzungen der Proxy Advisors macht und Kosten spart. Das Feedback der institutionellen Investoren deutscher börsennotierter Unternehmen zu den Qualifikationsmatrizen fällt bislang allerdings unterschiedlich aus. Während die offiziellen Stellungnahmen sowie die Abstimmungsrichtlinien der Investoren mehr Transparenz und die Darstellung der Kompetenzen in einer Übersicht fordern, reflektieren diverse Investorenvertreter die Dysfunktionalität der veröffentlichten Matrizen: Der aktuelle Mehrwert sei vor allem aufgrund der Perspektive (meist eine Selbsteinschätzung der Aufsichtsratsmitglieder) und wegen des angegebenen hohen Kompetenzniveaus kritisch zu sehen, wodurch derzeit weiterhin eine individuelle Analyse der Lebensläufe im Vordergrund stehe.

Tatsächlich bietet auch die hier vorgestellte Studie Anhaltspunkte für Skepsis, ob nicht in Teilen der Qualifikationsmatrizen ein zu hohes  Kompetenzniveau der Aufsichtsratsmitglieder ausgewiesen wird. Dies lässt sich an zwei Beispielen besonders deutlich ablesen: Zum einen geben die meisten Aufsichtsratsmitglieder an, über Nachhaltigkeitsexpertise zu verfügen. Das ist angesichts der aktuellen Debatte durchaus zu hinterfragen ist. Gleiches gilt für das in den Matrizen ausgewiesene Kompetenzniveau in diesem Themenumfeld. Darüber hinaus verfügen zwei Drittel der Aufsichtsräte den ausgewerteten Qualifikationsmatrizen zufolge über Personalkompetenz. Entgegen dieser Angabe zeigt eine aktuelle Studie von Prof. Weinert, dass nur 4% der Aufsichtsräte aus DAX-Unternehmen über vertiefte HR-Expertise verfügen.

Fazit

Die Offenlegung der Kompetenzprofile der Aufsichtsräte nach der Neufassung des DCGK wurde mit Spannung erwartet, da sie von hoher praktischer Relevanz ist. Erfreulich ist, dass die deutliche Mehrheit der Unternehmen der Empfehlung gefolgt ist und die Kompetenzen anhand von Qualifikationsmatrizen in den Geschäftsberichten transparent darstellt – wenn auch in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Die verschiedenen Formate und inhaltlichen Ausgestaltungen erschweren die Vergleichbarkeit der Kompetenzen – auch innerhalb von Branchen. Die Matrizen weisen zudem unterschiedlichen Informationsgehalte auf.

Es ist zu erwarten, dass sich nach der erstmaligen Veröffentlichung die Matrizen nun in Inhalt und Gestaltungsform angleichen und sich eine sog. Best Practices entwickeln wird. Es ist zu hoffen, dass mehr Unternehmen dazu übergehen, auch die definierten Ziele des Kompetenzprofils zu veröffentlichen. Regulatorischer Präzisierungen bedarf es sicher nicht.