Transformation ist ein MUSS-Thema in allen Unternehmen. Schon länger befasst sich die Wirtschaft mit der sogenannten digitalen Transformation; nunmehr sind Unternehmen auch auf dem Weg in ein nachhaltiges, also langfristig ökonomisches, ökologisches und soziales Wirtschaften. Vorstand und Aufsichtsrat sind hierbei gleichermaßen gefordert. Doch wie stark beschäftigen sich Gremien bereits mit den Transformationsthemen? Und was sind Treiber und Einflussfaktoren für eine zukunftsfähige Aufsichtsratsarbeit? In ihren aktuellen Governance Perspectives haben das European Center for Board Efficiency (ECBE) und die Universität Göttingen die sog. Digital- & Sustainability-Emphasis von Aufsichtsräten deutscher börsennotierter Unternehmen gemessen und diese Erkenntnisse für die Aufsichtsratsarbeit zusammengefasst.
Schon seit einigen Jahren ist das Rollenverständnis in Aufsichtsräten im Wandel: Aufsichtsräte sehen sich mehr und mehr als konstruktivkritischer Sparringspartner des Vorstands, als sich allein auf die ebenso wichtige Aufgabe des Kontrolleurs zu beschränken. Auch den persönlichen Wertbeitrag eines einzelnen Aufsichtsrats-mitglieds sieht dieser viel häufiger in der Impuls- und Ratgeberrolle. Dennoch – dies zeigen u.a. qualitative Beobachtungen aus den Selbstevaluierungen – beschäftigen sich Aufsichtsgremien noch immer sehr viel mit traditionellen und regulatorischen Themen und zu wenig mit Transformationsfragen. Internationale Forschungen zeigen, dass bestimmte Eigenschaften und Arbeitsweisen von Aufsichtsräten zu einer höheren Innovations- und Transformationskraft von Unternehmen führen können. Die ECBE-Trendanalyse fokussiert deutsche börsennotierte Unternehmen und misst, wie hoch die Aufmerksamkeit von deutschen Aufsichtsräten tatsächlich auf Transformationsthemen – hier Digitalisierung und Sustainability – liegt (sog. Emphasis) und welche Aufsichtsratseigenschaften die Befassung mit Transformationsthemen positiv beeinflussen.
Um die Befassung der Aufsichtsräte mit den Transformationsthemen quantitativ und mit einer großen Stichprobe messen zu können, wurden für die ECBE-Trendanalyse insgesamt 800 Geschäftsberichte der 160 deutschen börsennotierten Unternehmen aus dem DAX, MDAX und SDAX für den Zeitraum von 2016–2020 ausgewertet. Mittels Textanalyse wurde einerseits in CEO-Letter, Prognose- und Risikobericht sowie andererseits im Bericht des Aufsichtsrats der relative Anteil einer Adressierung von Digitalisierung und Sustainability (sog. „Emphasis“) von Vorstand und Aufsichtsrat gemessen.
Aufsichtsräte zeigen in ihrer Berichterstattung eine wesentlich niedrigere Emphasis für die digitale und nachhaltige Transformation als Vorstände. Generell lässt sich erkennen, dass die Digital Emphasis vorstands- und aufsichtsratsseitig wesentlich höher ist als die Sustainability Emphasis. Dies ist nicht überraschend, haben Vorstände und auch Aufsichtsräte die Digitalisierung von Geschäftsmodellen schon seit mehreren Jahren als Transformationsthema erkannt. Die Sustainability Emphasis ist in beiden Gremien signifikant erst ab dem
Jahr 2019 gestiegen – also zwei Jahre nach der gesetzlichen Einführung der sog. CSR-Berichterstattung. Dies zeigt: allein regulatorische Vorgaben steigern weder beim Vorstand noch beim Aufsichtsrat die zukunftsgerichtete und strategische Befassung mit Sustainability. So sind vielmehr der seit 2018 deutlich zunehmende Druck der Investoren und der breiten Öffentlichkeit als mögliche Faktoren zu nennen, die einen signifikanten Wandel in der Befassung mit dem Thema Nachhaltigkeit in den Unternehmen bewirkt haben.
Die Analyse unterstreicht die Bedeutung u.a. von den – nachfolgend genannten – Faktoren, die die Befassung des Aufsichtsrats mit den beiden Transformationsthemen signifikant beeinflussen.
Die drei ausgewählten Einflussfaktoren verdeutlichen, wie bedeutsam eine diverse Zusammensetzung im Aufsichtsrat ist und welcher besondere Wert der Vernetzung und dem damit verbundenen Wissens- und Erfahrungsaustausch zukommen kann. Dabei zeigen u.a. die Selbstevaluierungen in den letzten zwei Jahren, dass viele Aufsichtsräte in ihrer Zusammensetzung schon sehr gut für die Zukunft aufgestellt sind, während andere an der Zusammensetzung noch arbeiten müssen. Den ggf. erforderlichen Expertenmix profund zusammenzustellen, ist insbesondere für kleinere Aufsichtsräte eine große Herausforderung. Neben der Zusammensetzung spielt eine ebenso entscheidende Rolle, wie Transformationsthemen im Aufsichtsrat strukturell verankert werden. In Aufsichtsräten haben sich seit etlichen Jahren schon Strategieklausuren weitflächig etabliert. In zahlreichen Aufsichtsräten werden Strategie- und Innovationsthemen auch in Strategieausschüssen (vor)beraten. Mit der Digitalisierung haben sich zunehmend auch Digitalisierungs- und Technologieausschüsse in Aufsichtsräten etabliert, die insbesondere die digitale Transformation begleiten. In Aufsichtsräten mit diesen Ausschüssen zeigt sich eine um 28 % höhere Digital Emphasis. In Aufsichtsräten mit einem Strategie-, Transformations- und/oder einem Nachhaltigkeitsausschuss zeigt sich eine um 69 % höhere Sustainability Emphasis.
Folgende Zwischenfazits lassen sich aus den Analyseergebnissen ziehen:
Aus den Erkenntnissen lassen sich diverse Schlussfolgerungen für den Aufsichtsrat und seine Arbeitsweise im Zuge der Nachhaltigkeits-Transformation ableiten:
Nachhaltigkeit muss im Unternehmen noch prominenter als wertschöpfender und Wettbewerbsfaktor erkannt und behandelt werden. Vorstände und Aufsichtsräte werden sich noch intensiver mit der langfristigen Positionierung des Unternehmens im Markt auseinandersetzen, die Unternehmensstrategie stärker hinterfragen und selbst Impulse setzen müssen, um die Transformation im Sinne einer „License to Operate“ zu unterstützen. Die Befassung mit rein formalen Anforderungen aus der Nachhaltigkeitsberichterstattung sichert die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen nicht, dies gilt für börsennotierte wie nicht-börsennotierte Unternehmen gleichermaßen. Reporting follows Strategy und nicht umgekehrt!
Hierfür muss Nachhaltigkeit im gesamten Lifecycle eines Unternehmens sichtbar und Teil der Unternehmens- DNA sein,
Dies hat unvermeidlich Auswirkungen auf den Aufsichtsrat, seine eigene Governance und Arbeitsweise, will er die Transformation wertschöpfend begleiten. Denn der Aufsichtsrat ist hier mehr denn je als Impulsgeber, Sparringspartner des Vorstands und sogar als „Nachhaltigkeits-Botschafter“ gefordert. Erstens muss der Aufsichtsrat sich das Thema Nachhaltigkeit in allen Facetten erschließen und die Diskussionen im Gremium noch fundierter, faktenbasierter und intensiver werden. Es bedarf ebenso einer kontinuierlichen Berichterstattung und detaillierter Diskussionen in den Sitzungen, um konkrete steuerungsrelevante Handlungen ableiten zu lassen wie den offenen Diskurs über ggf. per anno oder über eine Mehrjahresperiode Zielkonflikte in den verschiedenen Dimensionen Umwelt, Soziales, Finanzen. Hierfür benötigen Aufsichtsräte zweitens detailliertes Nachhaltigkeitswissen, um die Nachhaltigkeitsaktivitäten des Unternehmens und die Umgestaltung des Geschäftsmodells kompetent zu beurteilen. Ein einzelner „Nachaltigkeitsexperte“ im Aufsichtsrat wird langfristig nicht tragen; vielmehr ist die Nachhaltigkeitskompetenz insgesamt im Aufsichtsrat und bei allen Aufsichtsratsmitgliedern zu stärken. Denn Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema im Unternehmen und dies zeigt sich auch in der verschiedentlichen Befassung im Aufsichtsrat Hier werden gut vernetzte Aufsichtsräte, die diversen Input von außen nutzen, gut aufgestellt sein. Deshalb werden drittens sog. ESGAusschüsse das Thema Nachhaltigkeit zwar initial „boostern“ können, langfristig wird dies dem integrativen Ansatz von Nachhaltigkeit in das Unternehmen kaum gerecht.